The Kurgan-Complex
Markus Proschek postuliert in der eigens für den Kunstverein konzipierten Ausstellung, dass die Verwendung von prähistorischen Relikten zur Untersuchung und Rekonstruktion der Vergangenheit oft zu widersprüchlichen Interpretationsmöglichkeiten führt. Diese können einander entgegengesetzte ideologische Positionen einnehmen, bis hin zur „Inevitability of Patriarchy“ versus der „Ursprünglichkeit des Matriarchats“.
In der Archäologie werden Dinge als Zeugen berufen, dabei sind sie jedoch auch den jeweils vorherrschenden Denkmustern und Taxonomien unterworfen. Eine akkurate Rekonstruktion komplexer symbolischer Ordnungen ist insofern zum Scheitern verurteilt, da uns in ihr immer nur die eigenen Stereotype und Vorstellungen begegnen.
In einer Arbeit arrangiert Markus Proschek nach dem Vorbild des Prähistorikers Oscar Montelius (1843-1921) neolithische Axtformen zu einer komplexen Skulptur. Montelius ordnete Artefakte dem darwinistischen Zeitgeist entsprechend gemäß ihrer Ähnlichkeit in stammbaumartigen Strukturen an. Diese Struktur lässt jedoch mehrere Formgenealogien als Lesart zu. Funde von Schaftlochäxten wurden oft als ein Indikator einer indoeuropäischen Einwanderung aus der russisch-ukrainischen Steppe verwendet. Ein Prozess, für den die litauische Archäologin Marija Gimbutas (1921-1994) den Begriff „Kurganisierung“ prägte. Das negative Image dieser Kurgan-Nomaden bis in die Populärkultur hinein zeigt sich in Form des fiktiven Charakters „Kurgan“, des unsterblichen Widersachers im Fantasyfilm „Highlander“. Gimbutas postulierte auch, dass diese Einwanderung den Beginn des Patriarchats in Europa darstellt, eine These, die bis heute umstritten ist, jedoch generell Fragen nach der Kontinuität und Veränderbarkeit von Gesellschaftsstrukturen aufwirft.
Ein weiteres Objekt, das der Form einer minoischen Grabkiste nachempfunden ist, zeigt an der Oberfläche Abbildungen von Äxten. Das Motiv der Doppelaxt wird hier in wechselnden Kontexten und den damit verbundenen Bedeutungsverschiebungen durchgespielt. Die Kiste selbst birgt Relikte der vergleichsweise jüngeren Vergangenheit: Johann Jakob Bachofens „Gesammelte Werke“, u. a. sein einflussreiches Werk „Das Mutterecht“ (erschienen 1861), in dem er philologische Quellen für ein prähistorisches Urmatriarchat sammelte und interpretierte.
Dass Rekonstruktionen kreative Prozesse sind und dabei die Grenzen zwischen wissenschaftlicher Arbeit und zeitgenössischer, ästhetischer Produktion nicht klar zu benennen sind, zeigt der Künstler, wenn er Ergänzungen des Schweizer Malers Emile Gilliéron (1851-1925) zu den in Knossos gefundenen, minoischen Fresken mit Abbildungen der Originalfragmente zusammenführt.
Proschek zielt in dieser Gegenüberstellung von Originalen, Rekonstruktion und Fiktion auch auf die Willkür geschichtlichen Wissens ab, die sich durch Selektion und Setzung unweigerlich einstellt. Die Ausstellung untersucht dieses Paradox der Unmöglichkeit, objektiv die „stummen Zeugen der Vergangenheit“ zum Sprechen zu bringen.